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Fellmäuse, Fotos und Gedanken ...



Diese kleinen, schon lange schwanzlosen und abgenagten Fellmäuse
von Klein Katze fielen mir in meinem Zimmer auf, als ich gestern
gerade aus dem Garten kam. Schon lange hatte er sich nicht mehr
in meinem Zimmer aufgehalten. Und noch viel länger ist es her,
dass er ab und an diese Mäuschen irgendwo verspielte. Das sind die
Reste von einem jungen verspielten Kater, der vor fast 16 Jahren
eine kleine Kunsttanne für die Weihnachtszeit bekam, an die wir
unzählige Fellmäuse mit ihren Schwänzen festknoteten. Unsere
Aufgabe bestand darin die Mäuschen immer wieder an die Tanne
zu hängen, damit er sie abplündern konnte. Solange, bis alle
Mäuschen schwanzlos waren. Denn neben dem Spiel mit diesem
Fellspielzeug war das Fressen der Mauseschwänze eine seiner
Lieblingsbeschäftigungen als kleiner Kater.

In diesem und
dem ersten Fotoalbum sind unzählige Katergeschichten
und besondere Momente mit ihm festgehalten. Nicht so viele
wie von
Maus & Allegra
. Denn damals gingen wir noch etwas sparsamer mit
den Diafilmen und der Foto-Entwicklung um. Aber es sind viele schöne
Erinnerungen: Auf dem Vogelhäuschen im Garten - noch mit dem
selbstgemachten Katzengeschirr aus Satin-Geschenkband, da er unter
seinem gekauften Kindergeschirr in den ersten Tagen fast zusammen-
brach. In Tüten, Taschen und Kartons, auf der Eisenbahnanlage beim
Zügefangen an der Brücke, beim Spielen mit Wasser oder einfach in
seinem Garten. Einige dieser Bilder werde ich hier irgendwann
vielleicht noch posten ...

Auch wenn die Zeit seit Ende März mit ihm schwer war. Und wir
uns seitdem immer mehr mit dem Gedanken beschäftigen mussten,
dass die gemeisame Zeit nun bald dem Ende zu gehen könnte, so war
sie auf eine andere Art und Weise trotzdem auch schön. Natürlich
hätten wir ihm eine kürzere Kranken- und Sterbephase gewünscht.
Aber vielleicht musste er das verpasste Frühjahr, als seine Tierärztin
ihm wegen Verdacht auf Katzeschnupfen fast einen Monat Hausarrest
erteilte, nun noch in seinem Garten nachholen. Was ihn hier so
lange trotz seiner Krankheit hielt, das bleibt sein Geheimnis.

Ich bin mir aber sicher, dass unsere Pflege ihm keinen Grund
gegeben hat, vorzeitig zu gehen. Ohne unsere Unterstützung
wäre ihm sein kleines Katerdasein in den letzten Wochen
bestimmt viel schwerer gefallen. Und wahrscheinlich hätte
er sich dann auch viel früher aufgegeben. Aufhalten wollten
wir ihn nicht. Aber ihm seine restliche Zeit noch so angenehm
wie möglich gestalten - das schon. Sicherlich hätten wir durch
weitere Behandlungen zum Beispiel mit Insulin die Folgen
seiner Diabetes vielleicht noch einige Zeit aufhalten können.
Aber der Preis wäre ein gestresster Kater gewesen, der sich
im Laufe der Behandlung immer mehr zurückgezogen hätte.
Und wir hätten oft zerkratzte Händen und reichlich Bisswunden
davon getragen. Sicherlich gibt es problemlose Katzen, die
die Injektionen 2x am Tag als harmloses Ritual betrachten.
Aber leider machen wir da zur Zeit ganz andere Erfahrungen
mit Allegra. Und Herr Katze hatte noch eine ganz andere Vor-
stellungen davon, was gerade noch geht und was überhaupt
nicht. So war er
ab Anfang Juni zum Sterben verurteilt.
Weitere Prognosen und Informationen, wie es ihm ergehen
könnte, wollten mir die Tierärzte nicht geben.

Rückblickend bin ich traurig, dass ich im Frühjahr der Meinung
seiner 4 behandelnden Tierärzte nahezu blind vertraut habe.
Es war ein gutes Gefühl, dass ab und ein weiterer Tiermediziner
aus der Praxis seinen Zustand begutachtete und die Behandlung
fortführte. Aber aus heutiger Sicht wäre eine zwischenzeitliche
Überprüfung der zweiten Diagnose und ein anderer Behandlungs-
weg eventuell sinnvoll gewesen. Erst viel zu spät habe ich den
alten Herrn
seiner neuen Tierärztin vorgestellt, die ihm wahr-
scheinlich so manch folgenschweres Medikament erspart hätte.
Und in der Kombination mit der
mobilen Tierheilpraktikerin
würde er vielleicht auch jetzt noch ab und an durch seinen
Garten streifen können ...

Vielleicht hat Herr Katze schon lange gelitten oder es uns
verheimlicht. Aber er hatte jederzeit die Möglichkeit sich zu
verkriechen, Salze und Globulis oder das Futter zu verweigern.
Doch stattdessen suchte er zeitweilig unsere Nähe, thronte
auf seiner Liege und mobilisierte alle Kräfte wenn ich mit
der
Roastbeef- oder Lachstüte kam.

Auch das Schurren veränderte sich im Laufe der Monate,
aber ein sich selbst beruhigendes Schurren konnte ich kaum
und wenn immer nur sehr kurz feststellen. Zwar saß er ab
und an in der Sphinx-Stellung, da er wohl häufiger nach
dem Fressen Magenproblem hatte. Aber würden wir bei
Sodbrennen gleich sterben wollen?

Sehr hilfreich und auch etwas beruhigend war das Gespräch
über Sterbebegleitung am 21. August mit der mobilen Tierheil-
praktikerin
in unserem Garten. Der Tag, an dem der alte Herr
wegen seiner Harnwegsinfektion und einer Überdosis Schmerz-
mittel kaum noch laufen konnte. Auch sein Futter ließ er damals
schon einige Zeit stehen. Obwohl die Tierheilpraktikerin Klein
Katze kaum sehen konnte, bestärkte sie uns mit dem 'Erlösen
lassen' noch etwas zu warten. Denn so, wie er an dem Tag trotz
seiner Behinderung durch die Beete streifte, war sie der Meinung,
dass er noch nicht aufgeben wollte.

Fast ebenso wichtig war Hinweis der
Tierheilpraktikerin mit dem
blauen Licht
, das ihm den Aufenthalt im Keller angenehmer gestalten
könnte. Seitdem war es nun möglich Herrn Katze abends im Keller
in der Waschküche einzusperren. Durch seine Inkontinenz war es
leider nicht mehr vertretbar ihn allein in anderen Räumen im Haus
zu lassen - er wechselte dort zu oft seine Liegeplätze. Aber durch
die blaue Beleuchtung wurde der Kellerraum bald sein liebster
Platz im Haus. Übrigens hatte das blaue Licht im Keller an seinem
letzten Tag auch auf mich einen beruhigenden Einfluß.

Als ich mich wenig später noch etwas mehr mit dem Thema
Farb-
lichttherapie
beschäftigte, bekam das Katertier am Abend noch
einige Zeit eine gelbe Lichtquelle in sein Kellerzimmer. Ob ihm
das farbige Licht Linderung verschaffte? Jedenfalls war es immer
wieder interessant zu beobachten, dass er sich abends zeitweilig
ganz bewußt mit dem Köpfchen in den Lichtkegel legte. Dabei
konnte er sich jedoch auch jederzeit dem Farblicht entziehen.

Ab Ende August begannen wir uns also mit seinem neuen Zustand
zu arrangieren, da sich die Vermutung der Tierheilpraktikerin
immer mehr bestätigte: Herr Katze wollte trotz seiner Diabetes,
geschädigter Nieren, Harnwegsinfektion und Inkontinenz noch
nicht aufgeben, sondern fand immer wieder neue Möglichkeiten
mit seinem veränderten Krankheitszustand umzugehen. Allerdings
war er zu dem Zeitpunkt auch bereit endlich mehr Unterstützung
von uns anzunehmen. Er ließ sogar manche Behandlung, wie zum
Beispiel Antibiotika oder die Katerwäsche, zwar unwillig, aber
trotzdem zu. Auch war er nun bereit immer häufiger die Plätze
in den Gartenbeeten gegen den Platz auf der Liege im Winter-
garten zu tauschen.

Bis zu dem Zeitpunkt benötigte Herr Katze eigentlich nur
nachts einen erhöhten Pflegeaufwand: Mehrmals in der Nacht
besuchte ihn meine Mutter im Keller, reinigte seine Katzen-
klos, wischte teilweise den Fußboden, stellte ihm nochmals
frisches Wasser & Futter zur Verfügung und tauschte die durch-
feuchteten Handtücher auf seiner Liegefläche. Doch nun war
diese Aufgabe auch tagsüber erforderlich. Denn er hielt sich
immer mehr im Wintergarten auf der Liege oder auf dem
Boden zwischen den beiden Schiebetüren auf. Mit einem
'normalen' etwas unternehmungslustigen Rentnerleben wäre
diese fast alle 2 Stunden notwendige Fürsorge kaum vereinbar
gewesen. Doch da sich meine Mutter ohnehin 24 Stunden
am Tag um meine Großmutter kümmert - Tag und Nacht in
Bereitschaft ist, war diese Zusatzaufgabe nun auch noch
möglich. Vielleicht war es sogar ganz gut, dass Herr Katze sie
immer wieder veranlasste auch an weniger warmen und sogar
regnerischen Tagen in den Garten zu ihm zu gehen. Sonst hätte
sie wahrscheinlich schon im Spätsommer viel mehr Zeit im
Wohnzimmer in der Nähe meiner Großmutter verbracht. Und
trotz seiner zunehmenden Pflegebedürftigkeit war Herr Katze
im Herbst doch noch pflegeleichter: Er wusste sich notfalls
auch selbst zu helfen, in dem er zum Beispiel alle Kräfte
mobilisierte und in der Küche vorbeischaute oder zumindest
im Beet am Haus auf sie wartete.

Wahrscheinlich war Herr Katze erst am Montag Nachmittag
bereit zu gehen, als er deutlich erkennbare Schmerzen bekam.
Oder war es sein Instinkt? Spürte er, dass es Zeit für ihn wurde?
War er nun endlich so weit sich aufzugeben und wollte nicht
mehr gegen seine Krankheit ankämpfen? Vielleicht hätte ihm
sogleich das Schmerzmittel, dass wir ihm seit August nicht mehr
gegeben hatten noch Linderung verschafft. Aber in dem Moment
habe ich nicht daran gedacht. Und eventuell hätte es den bevor-
stehenden natürlichen Ablauf sogar noch unnötig verzögert ...

Oft war ich seit Montag Nachmittag ganz dicht davor seine
Tierärztin anzurufen. Aber in keinem Moment - sah mich Herr Katze
so an, dass er mir das Gefühl gab, ich solle ihn aus dieser Situation
befreien bzw. ihm helfen. Vielleicht war er auch viel zu sehr mit
sich selbst beschäftigt. Lediglich den unruhigen Aufenthalt im
Wohnzimmer nach dem Waschen hätte ich ihm ersparen bzw.
verkürzen können. Aber zu dem Zeitpunkt ahnte ich nicht, wie
schnell das blaue Licht und sein vertrauter Keller-Liegeplatz eine
beruhigende Wirkung auf ihn haben würde.

Sterben ist sehr individuell. In einigen Texten im www werden
die verschiedenen Phasen beschrieben, aber diese richtig zu
deuten, ist wohl nicht immer möglich. Im Nachhinein habe ich
sie bei Herrn Katze falsch eingeschätzt. Aber was hätte es
geändert? Den so oft beschriebenen Acetongeruch in der zweite
Sterbephase konnten wir zum Beispiel überhaupt nicht wahr-
nehmen. Vielleicht auch, weil wir nun schon seit Monaten an
den leicht süßlich-stechenden Uringeruch gewöht waren, der
den alten grauen Herrn fast ständig umgab.

Aber all' diese beschrieben Sterbephasen können anscheinend
auch sehr unterschiedlich durchlaufen werden. Meine Großmutter
befindet sich nun wahrscheinlich schon seit fast 2 Jahren in der
ersten Phase und tritt zeitweilig in die zweite Phase über. Aller-
dings hat sie sich bis jetzt immer wieder entschieden, dass es
noch nicht soweit ist. Schon oft nach einer fast 2 bis 3-tägigen
Tiefschlafphase sagte sie klar und deutlich, dass sie noch hier
bleiben möchte. Und fing wieder an zu essen.

Wenn ich diese Erfahrungen mit meiner Großmutter nicht bereits
mehrmals selbst miterlebt hätte, dann hätte ich sicherlich noch
vor ein paar Jahren ganz anders für Herrn Katze entschieden ...

Vielleicht denke ich eines Tages - vielleicht auch schon in
ein paar Tagen - ganz anders. Aber in der Situation und mit dem
Wissen bzw. den Erfahrungen, die mir zu dem Zeitpunkt zur
Verfügung standen, habe ich ihn genau beobachtet, immer wieder
überlegt, dann entschieden und musste handeln. Denn nichts zu
tun als Ruhe bewahren und einfach für Klein Katze da zu sein,
ist auch eine Handlung. Was bleibt, ist die Erleichterung, dass
er es nun geschafft hat.

Der alte graue Herr hat mich in den letzten Monaten viel Zeit
gekostet. Und ich bin dankbar, dass ich mir diese Zeit für ihn
fast immer nehmen konnte. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Wäre ich in dem Moment voll berufstätig gewesen, und hätte
ich meine Verpflichtungen nicht einfach teilweise verschieben
können, dann wären auch wir sicherlich einen ganz
anderen Weg gegangen ...

Ich hoffe, dass zwischen meinen Erfahrungen und Überlegen
zum Thema Sterben oder Erlösen lassen noch viel Zeit vergeht,
bis wir mit Maus und Allegra auch diesen Zeitpunkt des Lebens
erreichen. Doch irgendwann müssen wir wieder ganz individuell
entscheiden, was unter den dann gegebenen Umständen der
beste Weg für unsere Damen ist. Daher habe ich mir die Zeit
genommen diesen Post und auch den Post über seine
letzten Stunden zu schreiben.

Eventuell helfen diese sehr persönlichen Schilderungen aus
dem Leben eines alten grauen Katers, dem ein oder anderen
Leser irgendwann einmal bei der Entscheidungsfindung für sich
und sein Tier. Aber egal wie man sich auch entscheidet, ein
paar Zweifel ob der gewählte Weg richtig ist, werden
wohl fast immer bleiben ...


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